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  Sein Werk:
Das Wesen seiner Philosophie

Aristoteles, der herausragendste und wohl auch selbständigste Schüler Platons, war in keiner Weise geringer bedeutend, was die Philosophie betraf. Wie Platon glaubte Aristoteles an die Vernunft der Welt und dass ein vollkommenes Wissen über die Welt möglich ist. Aristoteles Metaphysik ist ebenso wie bei Platon eine Theorie, mit deren Hilfe man perfektes Wissen begreifen können sollte. Anders als nach Platon, bei dem die Wirklichkeit mathematisch strukturiert ist und ihre Beziehungen zueinander das Wesen der Dinge zusammensetzt, ist die Wirklichkeit bei Aristoteles eine Abstraktion und Idealisierung konkret wahrgenommener Dinge. Nicht plötzlich entfernte sich Aristoteles von der Lehre Platons, sondern folgerichtig Schritt für Schritt bediente er sich mehr und mehr der naturwissenschaftlichen Methode. Er, als Sohn eines Arztes hielt sich daran, was bereits altorientalische Lehrmeister den Ärzten vorschrieben.

· Zuerst wird möglichst objektiv der Befund festgestellt und analysiert,

· dann die Vorgeschichte (Anamnesis) erfragt und geprüft,

· anschließend folgt die Diagnose,

· und aus ihr ergibt sich die Therapie.

Diese „naturwissenschaftlich korrekte“ Methode übertrug Aristoteles gewissermaßen auf die Philosophie, die schon dadurch bei ihm einen ganz anderen Charakter als bei Platon erhielt. So entstand das Wort „Untersuchung“, für die Zusammenstellung einer Sammlung vieler Beispiele von Staatsformen, die Aristoteles unter 158 Verfassungen verglichen hatte. Diesen Begriff hat er mit Vorliebe angewandt; mehr als jeder andere Ausdruck, kennzeichnet es seinen methodischen Unterschied zu Platon.

In der Natur gibt es für Aristoteles keine Linien, Flächen und Körper im Sinne der Geometrie, so dass er annahm, dass die Dinge nicht aus geometrischen Gebilden wie den platonischen Körpern und den „schönsten Dreiecken“ aufgebaut sind. Das Wesen der Wirklichkeit, das sich erfassen lässt, ist das Allgemeine und Inhalt des wahren Wissens. Die Wahrnehmung ist ein Instrument der Wesenserkenntnis, weil das Wesen eines Dinges die wahrnehmbare Form ist und ein nicht von den konkreten Dingen getrenntes ideales Muster hat, wie Platon vertreten hatte. Das Wesen der Wirklichkeit ist bei Aristoteles durch Substanz, Eigenschaft, Relation, Ursache zusammengesetzt. Die Struktur der Wirklichkeit ist so beschaffen, dass Dinge zu einem bestimmten Zeitpunkt nicht durch einander sich widersprechenden Aussagen über sie als wahr behauptet werden können.

Aristoteles setzt sich auch mit der Frage auseinander, wie wir vom Werden der Dinge, ihrem Entstehen, ihren Veränderungen und ihrem Vergehen wissen können. Für ihn ist Werden die Verwirklichung von etwas, das der Möglichkeit nach bereits besteht, wie z. B. das Entstehen einer Pflanze, deren Anlagen bereits in einem Samenkorn besteht. Das Allgemeine, in dem Aristoteles das wahre Wissen erblickte, lag nicht jenseits der Dinge, sondern in den Dingen selbst und der Wahrnehmung ihrer Entwicklung, z.B. einer Pflanze, eines Tieres oder eines Menschen, wie sie sich allmählich verwirklichen. Gerade die oben beschriebene Denkweise zeigt, dass sich Aristoteles deutlich von Platons Philosophie unterschied. Während für Platon das Ziel seiner spekulativen Bemühungen die vernünftige Einsicht in einer vernünftigen Vision erblickte, war Aristoteles überzeugt, dass sich dieses Ziel nicht unabhängig von der sinnlichen Wahrnehmung erreichen lasse. Erkenntnis braucht die Wahrnehmung der Natur als Vehikel.

Bei Aristoteles hat Philosophie die Funktion, als rein theoretische Erkenntnis der Praxis zu dienen. Dabei ging er davon aus, dass der Geist der beste Teil der menschlichen Persönlichkeit und seine Tätigkeit das Denken ist. Philosophische Einsicht war ihm auch wichtig für die Praxis einschließlich der sozialen Praxis. Philosophische Einsicht sollte bei Fragen des Rechts und der Politik eingesetzt werden. Richtiges Handeln setzte für Aristoteles auch richtige philosophische Erkenntnis voraus. Allerdings schätze er die theoretische Einstellung am höchsten, vor der sozialen und politischen Einstellung. Am tiefsten bewertete er die am Genuß orientierte Lebensweise, obgleich er sehr auf sein Äußeres bedacht war, immer gut gekleidet, und wie bei Laertius steht, mit mehreren Ringen am Finger. „Dieser Auffassung liegt die Voraussetzung zugrunde, dass das Gute, nach dem alle Wesen streben, die Vollendung der einem Wesen eigentümlichen Tätigkeit bedeutet. Wenn der Geist der vorzüglichste Teil des menschlichen Wesens ist, dann muß die ihm eigentümliche Tätigkeit, das Erkennen, als seine wesentliche Tugend gelten, und er wird sie um so vollkommener ausüben, je mehr er erkennt. Höchste Erkenntnis ist aber die Philosophie, weil sie es mit den allgemeinsten Prinzipien der Wirklichkeit zu tun hat. In der Erkenntnis der letzten Prinzipien, hinter die nicht mehr zurückgegangen werden kann, erweist sich die Tätigkeit des Geistes als vollendet.

Daher verbindet sie sich, wie jede in sich vollendete Tätigkeit, mit der Glückseligkeit (eudaimonia). Die Glückseligkeit, die das reine Erkennen begleitet, zeigt an, dass der Mensch im Philosophieren seinem ihm von der Natur gesetzten Zweck folgt. Wer philosophierend mit der von Gott stammenden Wirklichkeitsordnung im Einklang steht, nähert sich, so weit das Menschen möglich ist, dem Göttlichen an.“ Der Besitz von Geist und seiner Tätigkeit dem Denken war für Aristoteles gleichbedeutend mit dem Göttlichen, weil es das einzige ist, das für ihn der unsterbliche Teil beim Menschen bedeutet. Aristoteles war auch der Überzeugung, dass der Mensch verglichen mit den anderen Lebewesen, ein Gott zu sein scheint, und weil die Natur dieses hervorbringt ist sie gut. Weil sie aber gut ist, ist es daher geboten ihr zu folgen.

Für Aristoteles gab es eine natürliche Rangordnung, wobei das Höhere jeweils der Zweck des Niederen ist:

· Lebewesen stehen höher als die anorganischen Dinge,

· unter den Lebewesen stehen Tiere höher als Pflanzen,

· Menschen höher als Tiere,

· beim Menschen ist die Seele höher als der Leib,

· innerhalb der Seele steht die Vernunft vor den irrationalen Seelenteilen, und

· vernünftiges Denken, das rein und theoretisch ist steht vor dem zweckgebundenen zielgerichteten Denken.

Philosophie bedeutet für Aristoteles, dass es nichts praktisches ist, es ist nur Schauen von etwas, es ist wird nichts geschaffen, wie der Künstler das Bild. Philosophische Einsicht ist unabhängig vom zielgerichteten Denken und somit objektiv, man muß sie auffinden. Die Gegenstände der philosophischen Erkenntnis sind für Aristoteles in objektiver Weise vorhanden und mit großer Anstrengung auffindbar. Der Weg zur objektiven Schau der Wirklichkeit ist der Erkenntnisprozeß. Eine gedankliche Tätigkeit an deren Ende die Schau der Wahrheit steht, die nicht den Charakter von Erschaffen oder machen hat, sondern im wesentlichen rezeptiv ist.


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