LI QUATTORDICI
I. Hotel Smeraldo
„Elisabetta,
hai preparata per li quattordici?“ Diese Frage des
Hotelbesitzers Pasquale Rispoli in Praiano begleitet uns die drei Wochen
unseres Aufenthalts im Hotel Smeraldo (Brilliant). Wir haben die
Zimmernummer 14 und sind die Gäste, denen diese an Tochter Elisabetta
gerichtete Frage gilt und die hier die längste Zeit verbringen und manchmal
auch die einzigen sind.
Signor Pasquale kann die gähnende Leere kaum ertragen, ist dann immer sehr
nervös und läuft unruhig von einer Terrassenseite zur anderen, rückt Stühle
zurecht, die nicht durcheinander sind und zieht Tischdecken glatt, die keine
Falten haben. Er versichert uns immer wieder, morgen, spätestens aber im
August, kämen mehr Gäste. Im übrigen hätten jetzt auch die Russen die
Amalfi-Küste für sich entdeckt.
Vorsorglich, wenn wir wieder einmal allein auf der großen Terrasse zu Abend
sitzen, wird ein Tisch, manchmal zwei, zusätzlich für Phantomgäste eingedeckt,
in der Hoffnung, dass sich doch noch Gäste zum Essen oder Übernachten
einfinden. Tragischerweise bleibt es dann aber bei Phantomgästen. Herrscht
etwas mehr Betrieb, meist an den Wochenenden, bessert sich Signores Befinden.
Über fehlende Gäste klagt auch der Pächter des Badestrandes, er spricht sogar
von einer Katastrophe. Er beobachte diese Entwicklung schon seit Einführung des
Euros. Aber er tröstet sich damit, dass man in Positano das Zunehmen von
englischen und amerikanischen Gästen beobachte. In Ravello werden von uns neben
Engländern und Amerikanern auch japanische Reisegruppen gesichtet.
Signor Pasquale sagt uns im Vertrauen, er schätze die amerikanischen Gäste nicht besonders. Sie ständen erst um 11 Uhr auf und behinderten so den Hotelbetrieb. Außerdem seien sie arrogant, mäkelten am Frühstück herum, ließen den frisch gepressten Orangensaft stehen, um sich gleich nach dem Frühstück im Ort eine Dose Sprite-Limonade zu holen. Am Liebsten hätten sie statt des Frühstücks um 11 Uhr gleich ihren gewohnten Hamburger. Abends gingen sie dann außerhalb essen, das bedeute eine Pizza oder ein Sandwich auf die Hand, statt das Essen der Hotelküche zu genießen. Amerikaner hätten eben keine Esskultur, meint Signor Pasquale achselzuckend.
Den auswärts auf die Schnelle
essenden Gästen entgeht tatsächlich einiges. Hotelkoch Signor Luigi kocht
ausgezeichnet, es gibt kaum Wiederholungen in drei Wochen. Fisch aus dem Meer
wechselt mit Fleisch- und Gemüsespezialitäten aus der Region ab. Dazu immer
frischen Salat und vorweg die obligatorische Pasta. Ich lerne Nudeln in allen
Variationen kennen. Dazu den guten Landwein. Das alles auf der Hotelterrasse
mit gratis Blick auf das zauberhafte Meer, dessen Farbe von tiefblau bis
smaragdgrün wechselt, sowie auf das Städtchen Positano. Klar, dass die Hotels
oder Restaurants an dieser Küste mit „Vista sul mare“ für sich werben. Ist der
Mond zu sehen, scheint er eine silbrige Spur über das Meer zu ziehen.
Tagsüber lässt die Sonne Tausende von kleinen Kristallen auf dem Meer tanzen,
glitzern und funkeln. Ich verstehe, warum dieser Küstenabschnitt, die Costiera
Amalfitana, auch Costa d’oro heißt. Die des abends angehenden und danach die
Buchten und Berge hochkletternden Lichter erinnern an Brilliantketten, die sich
über die Küstenlandschaft legen. Sehr eindrucksvoll auch die Kerzen, die zu
Ehren von San Domenico vom 1. bis 4. August eines jeden Jahres auf die
Terrassen und vor die Häuser von Praiano an die Straßen gestellt werden. Sie
scheinen, wie der in dieser Zeit beleuchtete Kirchvorplatz von San Gennaro, die
Dominikaner-Patres im 400 m höher gelegenen Kloster zu grüßen.
Smeraldo ist ein Hotel mit familiärem Charakter. Selbstverständlich organisiert
und kommandiert Patrone alles. Er bedient die Gäste morgens und abends, nicht
ohne mehrfache freundliche „va bene?“ oder „tutt’aposto?“
Die ganze Familie hält den Hotelbetrieb mit Hotelkoch Luigi und einem
Zimmermädchen aufrecht. La mamma hilft in der Küche und herrscht über
Waschküche und Garten. Die Ehefrau ist Chefin des Getränkebuffets und
Elisabetta, die älteste der drei Kinder, hilft beim Servieren und Abräumen,
trägt auch die Koffer der Gäste in die Zimmer und ins Auto. Die beiden anderen
Kinder tauchen gelegentlich auf, öfter dagegen sieht man sie auf der Piazza bei
den anderen Jugendlichen stehen.
Elisabetta wirkt etwas unglücklich und ist meist ernst und blass. Sie trägt
keine modische Kleidung und keine Schminke. Ihr Gesicht kann man schön nennen,
wobei sie mich stark an das gewisse etruskische Lächeln der Statuen aus
vorrömischer Zeit erinnert.
Im Hotel-Garten wachsen Zitronen- und Orangenbäume und Weintrauben. Aus den
Zitronen werden Köstlichkeiten wie Limoncello, Zitronenkuchen und Granite
gezaubert.
Freundlich sind sie alle, nicht nur, weil wir die Gäste mit der längsten
Verweildauer sind. Ich behaupte, sie sind es nicht berufsmäßig, sie wirken auf
mich wie Menschen mit einer natürlichen, angeborenen Freundlichkeit.
Die erste Begegnung dieser Art gibt es in Norcia, wo wir die Autobahnauffahrt
nach Castellamare di Stabia nicht finden können. Für einen hilfsbereiten Mann
ist es kein Problem, sich in sein klappriges Auto zu setzen und uns auf den
richtigen Weg zu bringen. Oder der Ottica-Angestellte in Salerno, der an einem
Samstagnachmittag meine Sonnenbrille mit einem freundlichen „Ciao, bonna
vacance“ kostenlos repariert. Oder die freundliche Signora auf dem Schiff nach
Positano, die Freude daran hat, uns ungefragt alle Küstenorte zu benennen, an
denen wir vorbeifahren. Freundlich auch die Signore bei ihrem Pranzo in der
Strandbar La Gavitella, die uns ihren Wein der Region zum Probieren anbieten. (Es
ist 3 Uhr nachmittags. Wir trinken unseren Caffé, es ist glühend heiß aber wir
möchten diese freundliche Geste nicht ablehnen). Oder Signor Pasquale, der
15 Minuten nach Mitternacht auf uns wartet und auf der Straße nach uns Ausschau
hält. (Wir waren mit dem Bus nach Positano gefahren und noch nicht
zurückgekehrt.)
II. Costiera Amalfitana
Was macht den Zauber dieser Landschaft aus?
Die Halbinsel Sorrent, von der die
Rede ist, ist ein Felssporn zwischen Neapel und Salerno. Der Apennin hat hier
einen Ausläufer, der sich im rechten Winkel zum Nord-Süd verlaufenden Gebirge
erhebt. Am Golf von Neapel bei Sorrent stürzen die Felsen steil ab ins Meer.
Bei guter Sicht ist der Vesuv von hier aus sichtbar. Capri liegt gegenüber.
Geologische Untersuchungen haben eine frühe Abspaltung dieser Insel vom
Festland festgestellt. Sowohl Capri mit den La Faraglioni (Klippen) als
auch die drei kleinen Inseln Li Galli sind ebenso wie Positano von der Terrasse
des Hotel Smeraldo in Praiano zu sehen. Die La Faraglioni wirken wie
schwimmende Skulpturen im Meer.
Die vom Golf von Salerno umspülte Küste ist dagegen abwechselungsreicher, mal
stürzt das Gebirge steil ins Meer, mal liegen kleine Badeorte in Buchten, die
durch Flussmündungen entstanden sind. Auf die Bedrohung durch die Sarrazenen
vom Meer aus weisen auf kleine Landzungen gebaute Spähtürme hin. Diese Fremden
waren nicht nur eine Bedrohung; es fand ein kultureller Austausch mit der
arabischen Welt statt, wie das die Kreuzgänge des Klosters San Francesco in
Sorrent und des Doms in Amalfi belegen. Die Spitzbögen der Kreuzgänge laufen
aus in verschlungenen Dekorationen. Der Innenhof der Villa Rufolo in Ravello
hat so zierlich gearbeitete Bogen mit deutlich orientalischen Elementen, dass
man an eine feine Stickarbeit denkt. Dazu die eleganten Säulchen, die dieses
„Stickmuster“ tragen.
Ein bezauberndes, nach jeder Kurve wieder aufs Neue atemberaubende Panorama
zeigt sich, wenn man die Nationalstraße NN 163 an der Amalfiküste entlang
fährt. Ebenso aufregend ist die Fahrt mit dem Linienbus Sita. Die Busfahrer
sind wahre Künstler. Sie fahren ganz unaufgeregt diese nicht ungefährliche
Küstenstraße, haben aber noch Zeit für ein Schwätzchen mit Freunden aus dem
Busfenster heraus oder lassen Fahrgäste zwischendurch aussteigen, weil diese
noch eben einen Fahrschein im Tabacci-Laden kaufen müssen. Der Busfahrer wartet
auch, um Schnappschüsse der Mitfahrenden zu ermöglichen. In der Schulzeit soll
sogar vor jeder Haustür gehalten werden.
Der Sita-Bus bringt uns in das 8 km von Amalfi entfernte Städtchen Ravello
hinauf in das Gebirge. Die Fahrt in den 400 m hohen Ort fordert dem Fahrer
äußerste Konzentration und viel Geschick beim Kurven fahren ab.
Richard Wagner findet in Ravello die Bühnenkulisse für „Klingsors-Zaubergarten“
vor, als er 1880 in Italien am „Parsival“ schreibt. Dieser Garten gehört zur
Villa Rufolo, von der man den Blick auf die Badeorte Minori und Majori hat. Die
Villa gehörte einst der beim König von Neapel, ein Bourbone aus dem Hause Anjou,
sehr angesehenen Bankiersfamilie Rufolo. Sie hat sich durch großzügige
Schenkungen für den Dom und natürlich durch ihren Garten bei den Ravellonesen
beliebt gemacht. Die Einwohner haben Richard Wagners Begeisterung nicht
vergessen. So findet alljährlich das Ravello-Festival statt, wo in diesem
„Zaubergarten“ Konzerte nicht nur mit Wagnermusik gegeben werden. Die schöne
Meereskulisse gibt es dazu und eine Luft wie Samt und Seide. Ein Dach über der
Konzertbühne für eventuelle Regengüsse ist nicht vorgesehen. Anders als bei
Aufführungen in Verona wurde hier noch kein Konzert wegen Regen abgesagt.
Der Dom in Ravello ist sehenswert wegen seiner Mosaikarbeiten, ähnlich der im
Salerner Dom. Fassade und Innenraum der einst romanischen Kathedrale sind im
Laufe der Zeit stark verändert worden. Allzu vielen Kirchen hat man ein
„Barockkleid“ übergelegt, schreibt Gregorovius dazu.
Man geht hier wie in vielen italienischen barockisierten Kirchen dazu über,
entweder den alten, ursprünglichen Zustand wieder herzustellen oder zumindest
originale Bauteile sichtbar zu machen. Erwähnenswert in Ravello ist noch die
Kirche des Hl. Franziskus, durch deren Vorbau heute die Strasse verläuft. Das
angrenzende Kloster wird für Ausstellungen und Konzerte genutzt. So auch in Sorrent.
Reizvoll ist die Fahrt mit dem
Schiff entlang der Küste. Es ist die einfachste Verbindung der Küstenstädte
untereinander. Die tiefen, von Gebirgsbächen im Laufe von 1000en von Jahren
geschaffenen, Einschnitte sind von hier aus gut zu sehen. Malerisch ist der
Blick auf den Ort Positano beim Anlegen.
Zu dieser Stadt hat Paul Klee gesagt, sie sei die einzige Stadt, die mit
vertikalen statt mit horizontalen Achsen angelegt ist. Tatsächlich führt eine
Horizontale, die NN 163, einmal um das Tal herum, um dann am Ende der Stadt
wieder als Küstenstraße weiterzuführen. Der übrige Ort ist mit Treppen wie ein
Gitterwerk untereinander verbunden. Die kastenförmigen, bunten Häuser sind mal
gelb, mal dunkelrot, mal weiß gestrichen. Dazwischen eine Kirche mit den für
diese Gegend typischen bunten Majolikakacheln. Beleuchtet vom Schiff aus
gesehen wirkt der ganze Ort wie ein antikes Theater, so wie sich die Häuser
halbrund an den Berg schmiegen; das Meer ist die Bühne. Vereinzelt führen
Trampelpfade zu den wie Schwalbennester an hohe Felsen geklebte Häuser. Hotels
mit mehreren Sternen verfügen über einen Aufzug zur Küstenstraße oder zur
eigenen Badebucht.
Die Menschen in dieser Gegend sind Treppensteigen gewohnt und nehmen die
Anstrengung gelassen hin. „Der Weg zum Paradies fällt dann leichter“, sagen
sie. Mich kann das nicht so recht trösten; die fast täglich zurückzulegenden
389 Stufen vom Hotel Smeraldo zum Meer und am Nachmittag wieder nach oben
setzen mir bei den herrschenden Temperaturen ganz schön zu.
Die Küstenstraße ist erst in den
1930er Jahren gebaut worden. Zugang zu den Häusern gab es davor nur über das
Meer oder über Trampelpfade mit dem Esel. Man sieht sie noch heute, geduldig
ihre Lasten tragen.
In Sorrent mit seiner Steilküste führen Aufzüge von der Oberstadt, der
eigentlichen Stadt, zu den Badeanstalten am Hafen. Die Anlegestellen der großen
Autofähren nach Ischia, Neapel und Sardinien erreichen Autos und Fußgänger über
einen tiefen, von Menschenhand geschaffenen Einschnitt, der direkt in den Hafen
mündet.
Ab Salerno verändert die Landschaft ihr Gesicht, die Berge weichen
zurück, die Strände werden breiter, leider werden die Häuser an der Küste
größer. Dafür verfügt Salerno über eine von Palmen gesäumte Strandpromenade.
Ein weiteres Transportmittel neben dem eigenen Auto, das man getrost auf dem
Parkplatz stehen lassen sollte, ist die Vespa. Mit ihr kennt man keine
Parkplatzprobleme. Bei den Vespa-Fahrern denke ich an Tangotänzer, so wie sie
sich elegant durch die Autoschlangen winden.
Hat man Glück, kann man vor sich den Anblick einer Vespa-Fahrerin bewundern mit
schönem nackten braunen Mädchenrücken (jedes Kleidungsstück ist im Sommer zu
viel), darüber der Helm, aus dem das meist braune oder schwarze Haar auf
die bloße Haut fließt. Aber auch von vorne können sich diese Geschöpfe sehen
lassen. Dunkel gebräunt von der Sonne mit schwarzen, großen Augen und dunklen,
langen Haaren. Viele haben klassisch ebenmäßig schöne Gesichter. Joachim Fest
meint in diesen Gesichtern die einstigen griechischen Siedler, die sich an den
Küsten Italiens niederließen, zu erkennen.
In dieser Küstenlandschaft
schwelgen die Farben der Zitronen und Apfelsinen in gelb und orange, die der
Kletter- und Rankengewächse in blau und violett, die Hortensien haben
fußballgroße Blütenköpfe, üppig wachsen Malven, Jasmin, Hibiskus- und
Bougainvillabüsche. Dieselbe Farbenpracht findet man auf den bunten Kacheln
wieder. Ganze Landschaften werden so dargestellt. Hausnummern, Straßenschilder,
Sitzbänke, ein ganzer Kreuzgang eines Klosters in Neapel, Kirchenkuppeln, alles
leuchtet farbenfroh in Majolikaart.
Mit der
Circumvesuviana, einer
Vorortbahn, fährt man von Sorrent nach Neapel vorbei am Vesuv, an Pompeji und
Herkulaneum. Herkulaneum ist eine antike Stadt, die 79 n. Chr. vom
Lavaausbruch des Vesuvs verschüttet wurde. Ihr Areal ist weniger ausgegraben
als Pompeji. Unter der heutigen modernen Stadt Rosina liegen, so wird vermutet,
Forum und Theater. Das ist Glück und Unglück zugleich. Da man erst im 18.
Jahrhundert mit den Ausgrabungen sowohl in Herkulaneum als auch in Pompeji
begonnen hat, kann man ganze Stadtteile darüber nicht einfach abreißen. So
bleiben Teile zum Glück für immer begraben. Ihnen können keine Grabräuber, auch
moderne soll es geben, nichts antun. Unglück vielleicht für uns Interessierte,
die so die Schönheiten von einst nur teilweise zu sehen bekommen. Selbst Mark
Twain ist beeindruckt von dem, was in Herkulaneum sichtbar ist und stellt sich
die Frage, was es wohl von Amerika Besonderes oder Bleibendes gäbe, wenn es
nach einem Ascheregen ausgegraben würde (Plastikzeitalter?).
Die schon erwähnte Insel Capri besteht aus den Teilen Anacapri und Capri. Die Oberstadt, Anacapri, wird mit der Seilbahn, der Funicolare erreicht. Hier liegt auf einem Felsabsatz ein wahrhaft paradisischer Ort, die Villa San Michele des schwedischen Arzt und Schriftstellers Axel Munthe. Umgeben von einem schattigen Park bildet sie eine harmonische Einheit von Architektur, Kunst und Natur.
Das Wohnhaus ist ein umgebautes
Bauernhaus. In dieser eleganten Villa erinnert nichts mehr an sein bäuerliches
Vorleben. Lichte Innenhöfe und schöne Marmorfußböden mit Säulen und Statuen hat
Munthe hier nach antikem Vorbild geschaffen. Eine ägyptische und eine
etruskische Sphinx können ständig diesen Blick auf den Hafen von Capri und das
Meer genießen. Die Einrichtung des Hauses besteht aus edlem toskanischen,
neapolitanischen und schwedischen Mobiliar.
Der Garten mit seinen Laubengängen, Zypressenalleen und üppigen blühenden
Büschen und Bäumen spendet reichlich Schatten. Munthes Lebenstraum von einem
Heim, „…offen für Sonne und Wind und Meeresstimmen, gleich einem griechischen
Tempel mit Licht, Licht, Licht überall“, wurde hier Wirklichkeit. Der
Tierfreund Munthe kaufte das Gelände oberhalb der Villa und konnte so zumindest
für Capri die traditionelle Vogeljagd verhindern. Heute ist hier eine
Vogelstation als Zentrum für Zugvogelforschung schwedischer und italienischer
Ornithologen. Die Villa gehört einer Stiftung und ist als Museum der
Öffentlichkeit zugänglich.
In Munthes Erinnerungsbuch „Das Buch von San Michele“ hat mich eine Erzählung
besonders gerührt. Munthe hat als Humanmediziner auch Tiere behandelt und
konnte sich auf seine Art mit ihnen verständigen. Er schildert, wie er eine
kleine vom langen Flug ermüdete Lerche in die Hände nimmt und sie „fragt“, ob
sie nicht ausruhen und für immer bei ihm bleiben wolle. Sie gab ihm aber zu
verstehen, dass sie zurück nach Schweden müsse, um dort den Sommer
anzukündigen. Auch ganz anrührend die Geschichte von den „Gesprächen“ mit
Polarbären im Zoo von Paris, denen er von ihren Brüdern im Polarmeer „erzählt“,
die im kalten Eismeer schwimmen dürften und sie damit tröstet, dass es im Zoo
von Paris doch gar nicht so übel sei.
Für Munthe war die Villa das Paradies; in der Barockkirche San Michele auf
Anacapri ist es der Fußboden. Majolikakünstler haben hier nach ihren
Vorstellungen das Paradies gestaltet, in dem die Tiere menschliche Züge tragen.
III. Zusammenfassung
Mark Twain, der Spötter und
Zyniker, beschreibt die Südländer mit der ihm eigenen Arroganz als lediglich
auf das Geld der Touristen ausgerichtetes, ungebildetes, dreckiges vom
Aberglauben beherrschtes Volk. Zivilisation gibt es für ihn nur bei den
amerikanischen und angelsächsischen Menschen. Interessant. So geschrieben 1859
anlässlich seines Europatrips.
Goethe preist in seiner italienischen Reise neben den antiken Stätten
immer wieder die Anmut und Freundlichkeit gerade der Italiener, insbesondere
natürlich der Italienerinnen (Faustina!), und berichtet u.a. über eine
Szene, die man sich gut vorstellen kann. In Neapel stellt ihm Kniep,
sein ihn begleitender Zeichner, seine italienische Freundin, eine Schönheit,
vor. Die beiden Männer sitzen auf einer Dachterrasse, die Freundin steigt durch
eine Öffnung im Boden zu ihnen hoch und erinnert Goethe an die
Verkündigungsszene eines Gemäldes von Fra Angelico. Goethe lässt vielleicht
vorgekommene Übervorteilungen durch Italiener unerwähnt. Diese erlebte schon
Goethes Vater auf einer Italienreise vor seinem Sohn und ihm war es wert,
darüber zu berichten und zwar ausschließlich über seine unangenehmen
Erfahrungen.
Thomas Mann dagegen stört sich nur an der „bleiernden Hitze“ Italiens,
die für ihn alles Denken unmöglich macht und an den „heiseren Stimmen der
italienischen Frauen.“ Kein Wort über die Schönheit der Natur.
Ferdinand Gregorovius spricht von diesem Landstrich in romantischer
Schwärmerei als von demjenigen, der bei ihm den lebhaftesten Eindruck von allen
Wanderstraßen hinterlassen hat und fühlt sich versetzt in die homerische Zeit,
insbesondere bei der Fahrt entlang der Sireneninsel bei Capri. Er versteht
Odysseus, der sich laut Homer an den Mast des Schiffes binden ließ, um dem
Gesang der Sirenen zu widerstehen. Die modernen Sirenen sitzen heute auf den
Felsen des Badestrandes und locken durch ständiges Kämmen ihrer langen Haare
und mit aufreizenden Posen.
Sicher erlebt der Italienreisende gelegentlich überhöhte Preise oder wird auch
mal Opfer von Dieben. Das ist aber nicht nur in Italien so, sondern überall auf
der ganzen Welt, vornehmlich in Ländern, die in Armut leben, oder wo Kinder
schon zur Kriminalität erzogen werden oder wo sich Menschen schlitzohrig auf
Kosten Besser gestellter ihren Lebensunterhalt aufzubessern versuchen. Ich
finde es aber schade, wenn nur diese negativen Erfahrungen in den Vordergrund
gestellt werden, weil so der Blick für andere, aus meiner Sicht, wesentlichere
Dinge verstellt wird und man um die schönen Erfahrungen und Erlebnisse gebracht
wird, weil man sie so vielleicht nicht wahrnimmt.
Die Juli/August Hitze in Italien
kann lähmend sein, wenn das Thermometer um 18 Uhr noch 35 Grad anzeigt und der
Stift in der Hand und der Unterarm an der Tischplatte klebt. Manche
Frauenstimmen sind auch nicht ohne. Sie können neben rau und krächzend genauso
aber auch wohltuend dunkel klingen.
Für mich bleiben die schönen Erlebnisse in Erinnerung, die Begegnungen mit den Menschen, ihre Freundlichkeit, die Schönheit der Landschaft, diese Harmonie von Kultur, Natur und Architektur, so wie ich sie an der amalfitanischen Küste erlebt habe.
Sylvia Remé Praiano, im August 2004
IV. Literatur
Fest, Joachim, Im Gegenlicht, Berlin 1988
Goethe, Johann Wolfgang von, Italienische Reise, Hrsg. K. Richter u.a., Bd. 15, München, Wien 1992
Gregorovius, Ferdinand, Wanderjahre in Italien, Auswahl, Dresden 1950
Mann, Thomas, Mario und der Zauberer, Die Erzählungen, Bd. 2, Frankfurt am Main 1975
Munthe, Axel, Das Buch von San Michele, München 1978, 19. Aufl. 2002
Twain, Mark, Reise durch die alte Welt, Hrsg. H. Wiemken, Hamburg 1964